Mise en scène – Julien Duvivier. Unter diesem Titel haben Frederik Lang und Ralph Eue die erste deutsche Retrospektive der Filme Julien Duviviers präsentiert. Sie fand im März 2023 im Berliner Kino Arsenal statt. Das von ihnen herausgegebene begleitende Buch Julien Duvivier – Virtuoses Kinohandwerk, das im Wiener Verlag Synema erschien, ist die erste deutschsprachige Publikation zu diesem bedeutenden Regisseur des französischen Kinos des 20. Jahrhunderts. Sie bietet u. a. einen Aufsatz von Heike Klapdor: Voilá un homme. David Golder (1931)
Duviviers erster Tonfilm
basiert auf dem zwei Jahre zuvor erschienen Roman „David Golder“ (1929), dem Romandebüt der 26jährigen jüdisch-russischen Schriftstellerin Irène Némirovsky, die mit den Eltern vor den sowjetischen antisemitischen Progromen 1919 nach Paris emigriert war. Mit der Verfilmung gelingt Duvivier ein abgründiges Meisterwerk von düsterer Brutalität: Die Titelfigur David Golder (Harry Baur) ist ein aus der Armut des Shetl aufgestiegener und mit Aktienhandel reich gewordener jüdischer Geschäftsmann. Für seine Härte gefürchtet, verachtet von der französischen Bourgeoisie, lässt sich der skrupellose Geschäftsmann von seiner kalten Frau und ihrer parasitären Entourage und von seiner verwöhnten Tochter ausbeuten. Sie sehen in ihm nur den Garanten ihres Luxuslebens in Biarritz. Gleichgültig, abgestoßen und geblendet zugleich, stirbt der erschöpfte, herzkranke Mann nach einem letzten russischen Erdölcoup auf dem Frachter „Odessa“ im Schwarzen Meer. Umgeben von armen ostjüdischen Auswanderern, kehrt Golder im Moment des Todes zurück ins Shetl. Das französische Publikum, für den der etablierte Antisemitismus gesellschaftsfähig und populär ist, fühlt sich provoziert von der Tragödie des armen reichen Mannes. Der Film der Zwischenkriegszeit David Golder ist ein Schlüsselfilm im Werk des pessimistischen Realisten Julien Duvivier. Seine Kälte, Gewalt und Mitleidslosigkeit, Illusionen und Desillusionierung korrespondiert etwa mit dem Nachkriegsfilm Panique (1946), einem Film noir über die bête humaine.